Richard Wall: Streumond und Nebelfeuer, Gedichte,
Löcker, Wien 2019, 152 Seiten, Euro 19,80
Mit STREUMOND UND NEBELFEUER betritt ein bedeutender
Lyriker, Prosaist und Bildender Künstler Österreichs, nämlich
Richard Wall erneut die kleine, aber feine Bühne der Poesie
und liefert auch gleich das Umschlagbild des schön gestalteten
Gedichtbandes mit.
Seine Ars poetica hat sich in jahrzehntelanger Arbeit im Grenzbereich
zwischen Bild und Sprache an einem geistesgegenwärtigen Spiegel
geschliffen, der, gleichzeitig Rück- und Vorderseite, sozusagen den
Sprachraum extrem krümmend eine Einstein-Rosen-Brücke zwischen
Hier und Dort, zwischen äußerster Nähe und innerster Ferne erzeugt, Erinnerungen ausleuchtend und gleichzeitig Zukunft antönend, und
dies im Bewusstsein, dass diese Zeitenfolge nur ein vorläufiges
Konstrukt ist.
Die große Spannweite Wall’scher Geistesflüge, das breite Spektrum,
worin sich Wahrnehmung, Erinnerung und Reflexion zu Versen
vereinbaren und einander die Feder reichen, auch nur in Umrissen
deutlich werden zu lassen erscheint dem Rezensenten in diesem be-
grenzten Rahmen als ein Unterfangen, das selbst einem glücklichen, j a
übermütigen Sisyphos wohl dunkle Wolken auf die Stirn zauberte.
Da erscheinen beispielsweise im Zyklus UNI-PER-VERS-UM präzise
Befunde der (Un)Weltlagen z.B. im Gedicht ZUR LAGE (p73) …
Welt/Eine Spule, aus der sich jede und jeder/Seine irren//irrenden Fäden spinnt./...
und erhält im Gedicht RÄTSEL (p92) aus dem Zyklus WIRBELBLICKE
der Widerstand gegen eine augenscheinlich ökologisch und in ihrer
Humanität missglückende Welt in Form auch des poetischen Wortes seine gültige Punze: … Erfolgreich Widerstand/Zu erkennen in/Erleuchteten Wänden –//
Und den Schatten Gaben bringen/Über Gräber hinweg- /Sing wenn du wieder zu dir kommst.//Sing!
Dann wiederum wird das vom Dichter noch Wahrzunehmende, das dem allgemeinen Blick schon unsichtbar geworden ist, im Gedicht BLICKWIRBEL
an einigen Beispielen als ein geheimnisvolles Atmen von Leben & Tod vor Augen und Ohren geführt, ein Atmen, das in KLAVIATUR DES LICHTS (p94)
aus dem Blickwinkel des Bildenden Künstlers das Verschwinden des Lichts in folgende Synästhesie fasst: …Das Geschaute ihn ihm/Als Dreiklang/verweht.
Unmittelbar Erlebtes führt bei Wall zu Gedanken, die ihrerseits wieder
in der Reflexion des/der Lesenden zu Erlebnissen werden, ja manchmal
auch zu Ersterbnissen, wenn der Poet in hellwacher Achtsamkeit der Natur gegenüber, nun selbst mit ihr ein Wesen, ein Wehen, ihre/seine Vergänglichkeit oder Zerstörung in Gedichten wie DAS ZITTERN DER ÄSTE IN MIR (p55), UFERBEREINIGUNG (p64) oder EPITAPH AUF EINE QUELLE (p65) zur Sprache bringt.
Und so führt Richard Wall unbeirrt sein Logbuch durch all die
Wellengänge seiner Tage und Nächte und hinterlässt uns keine Strohfeuer,
sondern Leuchttürme, die uns in dieser Zeit der großen Umbrüche
helfen, Kurs zu halten. Ahoi!